
200.000 EUR Schmerzensgeld für Verlust beider Nieren!
Das OLG Hamm hat mit Urteil vom 03.07.2015 (Az: 26 U 104/14) entschieden, dass einer jugendlichen Patientin, die nach einem groben Befunderhebungsfehler ihrer Hausärztin u.a. beide Nieren verloren hat, 200.000 Euro Schmerzensgeld zustehen.
Die 1986 geborene Klägerin ließ sich über mehrere Jahre bis März 2002 durch die beklagte Hausärztin behandeln. Die Klägerin litt seinerzeit unter einer krankhaften Fettsucht und einem Nikotinmissbrauch. Im September 2001 stellte die Beklagte bei der Klägerin einen deutlich erhöhten Blutdruck fest und wies die Klägerin und ihre Mutter auf eine notwendige Blutdruckkontrolle hin. Nachdem die Beklagte im November erfahren hatte, dass die Klägerin, bei der wiederum erhöhte Blutdruckwerte vorlagen, aufgrund von Kreislaufproblemen viermal bewusstlos geworden war, stellte sie eine Überweisung zum Internisten bzw. Kardiologen zur weiteren Diagnostik einer sekundären Hypertonie aus. Zudem bot sie erneut regelmäßige Blutdruckkontrollen an, die die Klägerin in den nächsten Wochen nicht wahrnahm. Die Blut- und Nierenwerte der Klägerin untersuchte die Beklagte während dieser Zeit nicht. Nach der Behandlung durch die Beklagte wurden bei der Klägerin beiderseitige Schrumpfnieren diagnostiziert. In den folgenden Jahren unterzog sich die Klägerin 53 Operationen, u.a. zweier erfolgloser Nierentransplantationen. Sie wurde dialysepflichtig.
Mit der Begründung, sie sei von der Beklagten unzureichend untersucht worden, so dass ihr Nierenleiden zu spät entdeckt worden sei, hat die Klägerin von der Beklagten Schadensersatz verlangt, u.a. ein Schmerzensgeld von 200.000 Euro.
Nach Auffassung des Oberlandesgerichts haftet die Beklagte für den Befunderhebungsfehler. Sie habe nicht genug unternommen, um die Ursache für den Bluthochdruck der Klägerin abzuklären. Bereits der im September gemessene Blutdruck sei ein krankhafter Befund gewesen, der durch weitere regelmäßige Blutdruckmessungen habe abgeklärt werden müssen. Wenn es insoweit zu keiner Rückmeldung der Patientin gekommen sei, habe der damals 15-jährigen Patientin und ihren Eltern die hohe Dringlichkeit der weiteren Abklärung verdeutlicht werden müssen. Der Beklagten sei zudem vorzuwerfen, dass sie nach der Vorstellung der Klägerin im November 2001 eine weiterführende Diagnostik nicht stärker vorangetrieben oder selbst durchgeführt habe. Mehrfache Bewusstlosigkeiten und wiederholt erhöhte Blutdruckwerte hätten – trotz der weiteren Risikofaktoren der Klägerin – im Hinblick auf eine sekundäre Hypertonie zwingend weiter abgeklärt werden müssen. Hierzu hätte es weiterer Blutdruckwerte bedurft, die seinerzeit nicht vorgelegen hätten. Bei dieser Situation habe die bloße Überweisung der Klägerin zum Kardiologen ohne zwischenzeitliche eigenständige Diagnostik nicht ausgereicht. Aus fachärztlicher Sicht eines Allgemeinmediziners sei sogar eine stationäre Abklärung erforderlich gewesen. Dieses habe wiederum der Klägerin und ihren Eltern verdeutlicht werden müssen. Dass die Beklagte bei der Situation im November diese elementar gebotenen diagnostischen Maßnahmen unterlassen habe, sei – abweichend von der Auffassung des Landgerichts – als grober Behandlungsfehler zu bewerten. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei – aufgrund der mit dem groben Behandlungsfehler verbundenen Beweislastumkehr – zugunsten der Klägerin davon auszugehen, dass ihre späteren Beeinträchtigungen der Nierenfunktion, insbesondere ihre Dialysepflicht, die zwei Nierentransplantationen mit insgesamt 53 Operationen auf die von der Beklagten zu vertretende zeitliche Verzögerung bei der Feststellung und Behandlung der Grunderkrankung zurückzuführen seien. Bei einer früheren Diagnose der Nierenerkrankung der Klägerin habe eine – wenn auch geringe – Chance auf eine vollständige Heilung bestanden. Der komplikationsträchtige, lange Krankheitsverlauf mit der dauerhaften Dialysepflicht für die noch junge Klägerin rechtfertigte die Größenordnung des zugesprochenen Schmerzensgeldes. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
Quelle: Pressemitteilung des OLG Hamm v. 19.08.2015