Reichweite der Beweislastumkehr beim groben Behandlungsfehler

Reichweite der Beweislastumkehr beim groben Behandlungsfehler

Der Kläger wurde im Jahre 1991 in der 32. Schwangerschaftswoche aufgrund lebensbedrohlicher Blutungen seiner Mutter durch Kaiserschnitt geboren. Nach der 20. Lebensstunde wurde er infolge Atemstillstandes intubiert und bis zum 5. Lebenstag maschinell beatmet. Am 3. Lebenstag wurde bei einer Schädelsonographie ein beginnender frühkindlicher Hirnschaden (PVL) festgestellt. Der Kläger ist geistig und körperlich stark beeinträchtigt und dauerhaft pflegebedürftig.

Der BGH stellte, sachverständig beraten, einen groben Behandlungsfehler darin fest, dass eine zu intensive Einstellung des Beatmungsgerätes zu einer ausgeprägten  Hyperventilation mit der Folge einer Hypokapnie (erniedrigter Kohlenstoffdioxidpartialdruck im arteriellen Blut)  des Klägers führte. Dies hätte nicht bis zum 5. Lebenstag toleriert werden dürfen, zumal hochgradig pathologische Blutgaswerte bestanden.

Dieser grobe Behandlungsfehler war auch generell geeignet, den bei Kläger eingetretenen Gesundheitsschaden zu verursachen oder zumindest mitzuverursachen. Die durch die Hyperventilation verursachte Hypokapnie kann die PVL (mit)verursachen. Das die Kenntnis von diesem Zusammenhang zum damaligen Zeitpunkt (1991) noch nicht zum medizinischen Standardwissen zählte, ist dabei unerheblich. Aufgrund der Umkehr der Beweislast beim groben Behandlungsfehler, ist der entstandene Gesundheitsschaden den beklagten Ärzten zuzurechen.

BGH Urt. 19.06.2012 – VI ZR 77/11

Den originalen Text der Entscheidung finden Sie hier: 

http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&az=VI%20ZR%2077/11&nr=61076