
Warum ist die Justiz überlastet?
Diese Fragen stellen wir uns aktuell in einer Beratungshilfeangelegenheit vor dem hiesigen Amtsgericht Zweigstelle Bad Langensalza.
Zum Verständnis:
Beratungshilfe ist ein Instrument des Staates, um Bürgern mit geringem oder gar keinem Einkommen zu ihrem Recht zu verhelfen. Rechtsanwälte sind kraft Gesetzes verpflichtet, auch unbemittelten Ratsuchenden rechtsberatend zur Seite zu stehen. Da selbst Rechtsanwälte ungern kostenlos und aus rein altruistischen Motiven heraus tätig werden, übernimmt in den Fällen eines Beratungshilfemandats der Staat die Kosten der Interessenwahrnehmung.
Für die einfache Beratung alimentiert der Staat die Rechtsanwaltschaft mit brutto 41,65 EUR, wird der Anwalt nach außen tätig, erhöht sich der Obolus auf brutto 121,38 EUR jeweils plus 15,00 EUR Selbstbeteiligung.
Der unbefangene Leser merkt sofort, warum die Anwaltschaft wohl zu Recht als reich empfunden wird.
Allerdings fühlen sich die ebenfalls nach dem Gesetz zur Beratungshilfe verpflichteten Rechtspfleger, der nach eigener Darstellung ohnehin hoffnungslos überlasteten Justiz oft nicht in der Lage, dem Bürger in als belanglos empfundenen Angelegenheiten mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Will heißen, man gibt dem Ratsuchenden den Antrag auf Beratungshilfe in die Hand und verweist auf die Möglichkeit der Antragstellung durch den Rechtsanwalt.
Für einen kurzen Moment kann der Rechtspfleger tief durchatmen und sich erneut wichtigeren Dingen widmen, allerdings wird die Qual der Arbeitslast mit dieser Vorgehensweise hinausgeschoben.
Der Anwalt, der für den Bürger tätig wird, möchte ja irgendwann seinen ihm zustehenden Verdienst erhalten und reicht den vom Mandanten vollständig und wahrheitsgemäß ausgefüllten Antrag beim Amtsgericht ein.
Nun konfrontiert mit der unverhofften Arbeitslast und den ohnehin leeren Staatskassen, bedarf es häufig guter Argumente, um die Vergütung des Rechtsanwalts abzulehnen und den eigenen Arbeitsplatz mit Verfahren zu sichern. Nicht das man am Ende schon zur Mittagszeit nichts mehr zu bearbeiten hätte.
Aus dem Dunstkreis der Beratungshilfe ergab sich nun folgender Fall:
Ein mittelloser Mandant wollte ein zu besseren Zeiten vergebenes Darlehen zurück. Der Geldempfänger weigerte sich aber standhaft.
Also bedurfte es unterstützender Tätigkeit. Der Mandant ist Analphabet und bezieht ausschließlich Leistungen vom Jobcenter. Der Mandant ist Eigentümer eines 117 qm großen Grundstücks, das mit einem kleinen selbstbewohnten Haus bebaut ist. Der Mandant gab auch an, dass er einen Anwalt benötigt, um an sein Geld zu kommen.
Erste Runde:
Die Bewilligung wurde per Beschluss abgelehnt. Messerscharfes Argument des Rechtspflegers inklusive der fehlenden Kommas wegen der oben angesprochenen Arbeitsüberlastung:
„Der Geldbetrag um den sich die Beratung dreht ist dem Vermögen des Antragstellers hinzuzurechnen.“
Will heißen: Der Mandant soll den Anwalt mit dem Geld bezahlen, dass er zwar jetzt nicht hat, um das Geld zu bekommen, das er freiwillig vom Dritten nicht erhält. Der Rechtsanwalt soll erst bezahlt werden, wenn seine Tätigkeit vom Erfolg gekrönt ist. Nun schuldet der Anwalt aber nur eine Dienstleistung und keinen Erfolg. Der Geldeingang ist ungewiss. Letzteren Punkt des sorgenvollen Gelderhalts kennen die stets pünktlich entlohnten Staatsdiener nicht, weshalb man die Anliegen der Bürger nicht ganz nachvollziehen kann.
Ein Blick ins Gesetz wäre der Rechtsfindung dienlich gewesen, denn der Gesetzgeber sagt dazu in § 1 BerHG:
„Die Möglichkeit, sich durch einen Rechtsanwalt unentgeltlich oder gegen Vereinbarung eines Erfolgshonorars beraten oder vertreten zu lassen, ist keine andere Möglichkeit der Hilfe…“
Also in die Erinnerung mit dem Verweis darauf, dass man nicht vorhandenes Geld nicht zur Bezahlung einsetzen kann.
Zweite Runde:
Der mit dem unerwarteten Argument der Mittellosigkeit hilflos überforderte Rechtspfleger zog in seiner Not die zuständige Amtsrichterin unterstützend hinzu, weshalb sich nun zwei Mitarbeiter der Justiz mit der vorliegenden Belanglosigkeit befassen mussten.
Die messerscharfe Logik der Amtsrichterin war in Ansehung des vorhandenen Grundstücks (wir erinnern uns: 117 qm groß) mit einem gut gemeinten Rat versehen.
„..wird darauf hingewiesen, dass der Erinnerungsführer zwar nicht verpflichtet ist, das von ihm bewohnte Grundstück zu veräußern. Dennoch ist er darauf zu verweisen, dass der das Grundstück beleihen kann, um die ihm aus der anwaltlichen Beratung erwachsenen Kosten (wir erinnern uns: 121,38 EUR plus 15 EUR SB) selbst aufzubringen.
Dritte Runde:
Die Mitteilung der Tatsache, dass der Mandant Analphabet, nur seinen eigenen Namen schreiben und einfach strukturiert ist und daher weder Formulare ausfüllen, geschweige denn die zum Ausfüllen eines Mahnbescheides erteilten Hinweise lesen kann, führten nicht etwa zur christlichen Barmherzigkeit, sondern regten investigative Recherchen der Richterin an. Dem Mandanten keinen Glauben schenkend erfolgte ein kritischer Blick mit messerscharfem Verstand in das übersandte Grundbuchblatt.
Mit der beeindruckend schnell gewonnenen Erkenntnis, dass auch dort die angegebene Grundstücksgröße von 117 qm vermerkt war, folgte das zweite messerscharfe Argument:
„Zwar fällt ein selbstgenutztes Wohnhaus grds. unter den Schutz des SGB XII und muss weder veräußert noch beliehen werden. Dies gilt jedoch dann nicht mehr, wenn das Hausgrundstück hieran kein angemessenes Wohngrundstück darstellt und damit nicht mehr zum Schonvermögen gehört“.
Diesen Rechtsgrundsatz schlussfolgerte die Richterin aus der tiefgründigen Erkenntnis:
„Aus dem Grundbuchauszug ergibt sich, dass die Größe des Grundstücks 117 qm beträgt. Das Gericht geht davon aus, dass die Größe nicht der Wohnungsgröße entspricht. Dem Erinnerungsführer wird daher aufgegeben, binnen 2 Wochen darzulegen, welche Größe seine Wohnung hat.“
Vermutlich war die Richterin noch vom letzten Urlaub in New York von der schieren Größe moderner Bauwerke auf kleinster Fläche bei einem Spaziergang in Manhattan beeindruckt und vermutete vor dem Hintergrund ausgezeichneter Architekten auch im thüringischen Land derartige Baukunst auf einem 117 qm Grundstück einen Wohnturm zu errichten, vor dessen selbstherrlicher Größe selbst Donald Trump erblassen müsste.
Kleine Anmerkung: Das Jobcenter, das ebenfalls die Immobiliengröße prüft, sah jedenfalls zu keiner Zeit Veranlassung, die Verwertbarkeit zu hinterfragen.
Die vierte Runde
wurde eingeleitet, wobei dem eigenen Gewissen zur Angabe wahrer Tatsachen folgend die Wohnungsgröße nach einem Abschreiten mit ca. 48 qm eruiert wurde, allerdings auch das böse Unwort „schikanös“ fiel.
Hoffentlich fühlt sich die vom Volk berufene Richterin in ihrem Drang zur bedingungslosen Aufklärung des Sachverhalts und potentieleln Ausgaben von 121,38 EUR als Retterin des Thüringer Staatshaushaltes nun zu einer sachdienlichen Entscheidung berufen.
Resumee aus dem geschilderten Ablauf:
Damit dürfte die obige Frage geklärt sein, warum die Justiz (angeblich) überlastet ist. Andere unwichtige Sachen so was wie Klagen bearbeiten und all die Dinge, mit denen die Gerichte sonst so noch zu tun haben, müssen bei der krtischen Prüfung der Gewährung von Beratungshilfe für mittelose Bürger halt hintenanstehen.
Resumee 2:
Das Ganze erinnert ein wenig an Comics aus der Kindheit, die mit den Worten begannen:
Seltsam, aber so steht es geschrieben …
zumindest am beschaulichen Amtsgericht Mühlhausen an der noch beschaulicheren Zweigstelle Bad Langensalza.