

Erfolglose Verfassungsbeschwerde wegen fehlender „Rohmessdaten“
15.11.23 - Rechtsanwalt Martin WeißenbornDas Bundesverfassungsgericht hat mit dem Beschluss vom 20. Juni 2023 eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Die Beschwerde richtete sich gegen einen vorgeworfenen Geschwindigkeitsverstoß. Der Beschwerdeführer meinte, dass aus dem Grundsatz des Rechtes auf ein faires Verfahren ein Recht auf „Waffengleichheit“ resultiert, dass die zuständigen Behörden dazu verpflichtet, nur Geräte einsetzen, die sogenannte „Rohmessdaten“ erheben. Das Bundesverfassungsgericht hielt die Beschwerde für unzulässig. Der Beschwerdeführer habe nicht ausreichend dargelegt, dass aus dem verfassungsrechtlich verankerten Recht auf ein faires Verfahren auch eine staatliche Pflicht folgt, potentielle Beweismittel zu schaffen, die zur Wahrung von Verteidigungsrechten notwendig seien. Demzufolge habe der Beschwerdeführer eine Grundrechtsverletzung nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Bundesverfassungsgericht – 2 BvR 1167/20
Recht auf faire Verfahrensgestaltung im Bußgeldverfahren
7.05.21 - Rechtsanwalt Alexander HeinzDas Oberlandesgericht Jena hat im Beschluss vom 17.03.2021 (Az. 1 OLG 331 SsBs 23/20) klargestellt, dass der Betroffene eines Bußgeldverfahrens wegen Geschwindigkeitsüberschreitung gegen die Bußgeldbehörde einen Anspruch auf Überlassung auch der am Tattag an der betreffenden Messstelle generierten Falldateien anderer Verkehrsteilnehmer zusteht. Dieser Anspruch resultiert aus dem Recht auf faire Verfahrensgestaltung. Das Einsichtsrecht lässt sich auch nicht wegen entgegenstehender Interessen der betreffenden Verkehrsteilnehmer ablehnen. Um die Fehlerfreiheit einer Messung zu prüfen, ist meistens die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich. Bestimmte Auffälligkeiten wie etwa fehlende Vollständigkeit der Aufnahmen, Unregelmäßigkeiten bei der Dateneinblendung, eine hohe Anzahl verworfener Messungen, Stellungs- oder Standortveränderungen des Messgerätes, stark abweichende Positionen mehrerer der aufgenommenen Fahrzeuge zur Fotolinie oder gehäuftes Auftreten unsinniger Messergebnisse sind für den Betroffenen bzw. einen von ihm beauftragten Sachverständigen nur durch Betrachtung aller Aufnahmen zu ermitteln. Bei der Verteidigung ist daher ein entsprechendes Einsichtsgesuch rechtzeitig gegenüber der Bußgeldbehörde zu stellen. Hier können Sie die Begründung der Entscheidung im Detail nachlesen OLG Jena- Beschluss vom 17.03.2021
Recht auf ein faires Verfahren im OWI-Bereich
4.01.21 - Rechtsanwalt Alexander HeinzDas Bundesverfassungsgericht entschied am 12.11.2020, dass Betroffene eines Bußgeldverfahrens auch Rohmessdaten der betreffenden Messgeräte einsehen dürfen. Ansonsten sei das Recht auf ein faires Verfahren verletzt. Das Gericht gab damit einer Verfassungsbeschwerde statt, die den Zugang zu Informationen im Bußgeldverfahren betraf, die nicht Teil der Bußgeldakte waren. Das Amtsgericht hatte den Betroffenen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 30 km/h zu einer Geldbuße verurteilt und ein einmonatiges Fahrverbot verhängt. Der Betroffene hatte im Bußgeldverfahren unter anderem die Lebensakte des verwendeten Messgeräts, den Eichschein und die sogenannten Rohmessdaten einsehen wollen, die nicht in der Bußgeldakte waren. Die Behörde, das Amtsgericht sowie auch später das Oberlandesgericht verwehrten dies. Das AG hatte argumentiert, dass es sich bei der Geschwindigkeitsmessung mit dem zum Einsatz gekommenen Messgerät um ein sogenanntes standardisiertes Messeverfahren handele. Die Richtigkeit der Messung sei damit indiziert, so das AG. Auch das OLG verwarf die Rechtsbeschwerde. Das Bundesverfassungsgericht entschied nun, dass die Entscheidungen dem Betroffenen in seinem Recht auf ein faires Verfahren verletzt haben. Bei standardisierten Messverfahren seien die Feststellungs- und Darlegungspflichten des Tatgerichts im Regelfall reduziert. Es müsse zwar nicht...
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Bundesweit erstes Streckenradar in Betrieb
6.02.19 - Rechtsanwalt Alexander HeinzSeit dem 14.01.2019 hat Niedersachsen das bundesweit erste Streckenradar in Betrieb genommen. Auf einem 2,2 Kilometer langen Abschnitt der B6 nahe Laatzen bei Hannover werden Geschwindigkeitsüberschreitungen kontrolliert und geahndet. Aus Gründen des Datenschutzes wird dabei wie folgt vorgegangen: Bei der Einfahrt in den Abschnitt wird ein erstes verschlüsseltes Foto erstellt, ebenso ein zweites verschlüsseltes Foto beim Verlassen des überwachten Bereiches. Nur wenn der Abgleich beider Bilder eine Tempoüberschreitung ergibt, wird ein weiteres Foto mit dem Gesicht des Fahrers angefertigt.
Geschwindigkeitsmessung mit Messgerät Leivtec XV3 nicht mehr standardisiert?
28.02.18 - Rechtsanwalt Alexander HeinzZu diesem Ergebnis kommt zumindest das Amtsgericht Jülich in seinem Urteil vom 08.12.2017 ( Az.: 12 OWi 122/16). In dem eingeholten Sachverständigengutachten stellte sich heraus, dass die Zulassung durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) nicht ordnungsgemäß erfolgt ist. Die Verbindungskabel seien nicht ausreichend auf ihre elektromagnetische Verträglichkeit hin geprüft worden. Sinn und Zweck solcher Prüfungen ist es, si-cherzustellen, dass die Bauteile des Messgeräts nicht durch bestimmte elektromagnetische Felder beeinflusst werden, wodurch falsche Messergebnisse zustande kommen können. Die Geschwindigkeitsmessung könne auch nicht nachträglich auf ihre Richtigkeit überprüft werden, da das Messgerät Leivtec XV3 seit einem Software-Update die Einzelmesswerte, aus denen das Geschwindigkeitser-gebnis errechnet wird, nicht mehr speichert. Daher ist eine Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit nicht nachweisbar, weshalb freigesprochen wurde. Zum besseren Verständnis: Wenn ein Messsystem als standardisiert gilt, kann der Richter die Zuverlässigkeit der Messung unterstellen, solange keine konkrete Anhaltspunkte für Messfehler gegeben sind. Ist nicht mittels standardisierten Messverfahrens gemessen worden, muss das Gericht von der Richtigkeit überzeugt sein, in seinem Urteil die Durchführung der Messung ausführlich darstellen und regelmäßig höhere Toleranzabzüge vornehmen. Volltextabruf über den folgenden Link
Fahrverbot – Plötzlicher Harndrang und Geschwindigkeitsüberschreitung
10.11.17 - Rechtsanwalt Martin WeißenbornGegenstand eines Beschlusses des Oberlandesgerichts Hamm war, ob plötzlicher Harndrang und der damit im vorliegenden Fall einhergehenden Geschwindigkeitsüberschreitung zu einem Fahrverbot führen kann. Im vorliegenden Fall trug der Betroffene nämlich vor, dass die Geschwindigkeitsüberschreitung nur deshalb zustande kam, weil er aufgrund einer Prostataoperation nur eingeschränkt seinen Harn zurückhalten könne. Das Fahrverbot sei nicht gerechtfertigt. Das Amtsgericht Paderborn beließ es bei der verhängten Geldbuße von 80,00 EUR und dem angeordneten Regelfahrverbot. Nunmehr hob das Oberlandesgericht Hamm das Urteil wegen eingelegter Rechtsbeschwerde auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung an das Amtsgericht zurück. „Es sei in der Rechtsprechung anerkannt, dass ein sehr starker Drang zur Verrichtung der Notdurft, der durch eine besondere körperliche Disposition des Betroffenen bedingt und der ursächlich für die Geschwindigkeitsüberschreitung sei, einen Grund darstellen könne, vom Regelfahrverbot abzusehen. Dies sei aber keineswegs der Normalfall. Der bloße Umstand einer bestimmten körperlichen Disposition reiche insoweit noch nicht, andernfalls erhalte der betroffene Personenkreis gleichsam einen “Freibrief” für pflichtwidriges Verhalten im Straßenverkehr“. Ob die durch eine Blasenschwäche hervorgerufene Situation ausnahmsweise ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigt, hat der Bußgeldrichter im Einzelfall festzustellen. Er...
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Keine Eigenbedarfskündigung „auf Vorrat“!
22.02.17 - Dipl. Wirtschaftsjuristin (FH) Katja GieseEine Eigenbedarfskündigung gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB ist als sog. Vorratskündigung, nämlich wenn ein gegenwärtig noch nicht absehbarer Nutzungswunsch der Eigenbedarfsperson zugrunde liegt, unwirksam. Der Nutzungswunsch muss sich schon so weit verdichtet haben, dass ein konkretes Interesse an einer alsbaldigen Eigennutzung besteht. Dies entschied der Bundesgerichtshof am 11.10.2016 zu Az. VIII ZR 300/15. In dem zu entscheidenden Fall erfolgte die Kündigung einer Einzimmerwohnung im April 2011 wegen Eigenbedarfs. Der Vermieter machte geltend, die Wohnung dringend für die Pflege seiner demenzkranken Mutter zu benötigen, die zu diesem Zeitpunkt allein in ihrem Einfamilienhaus wohnte. Nachdem die Mieterin daraufhin ausgezogen war, stand die Wohnung jedoch leer. Die Mutter des Vermieters zog nie in die Wohnung und verstarb kurze Zeit später. Die Mieterin klagte auf Zahlung von Schadensersatz und führte an, dass die Mutter des Vermieters niemals die Absicht gehabt habe, in die Wohnung zu ziehen. Der Eigenbedarf sei somit vorgetäuscht gewesen. Amtsgericht und Landgericht wiesen die Schadensersatzklage noch ab. Der Bundesgerichthof entschied jedoch zu Gunsten der Mieterin. Es sei zu beachten, dass ein Eigenbedarf nicht bestehe, wenn die vom Vermieter...
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Fristlose Kündigung des Mietverhältnisses während des Verbraucherinsolvenzverfahrens
5.07.15 - Dipl. Wirtschaftsjuristin (FH) Katja GieseZum Hintergrund: Ein Mietverhältnis, welches der Schuldner als Mieter eingegangen ist, kann der Vermieter nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 112 InsO nicht wegen des Verzuges mit der Mietzahlung in der Zeit vor der Verfahrenseröffnung kündigen. Der Bundesgerichtshof hatte aktuell zu entscheiden, ob eine Kündigung jedoch nach „Freigabe“ des Mietverhältnisses durch den Treuhänder (§ 109 Abs. 1 Satz 2 InsO) möglich ist. Im dortigen Fall hatte ein Mieter von März 2009 bis Oktober 2012 keine bzw. nur einen geringen Teil der monatlichen Miete gezahlt. Im Juni 2010 wurde das Verbraucherinsolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet. Bereits im Juli 2010 erklärte der Treuhänder die Freigabe des Mietverhältnisses. Diese Erklärung hat zur Folge, dass das Mietverhältnis nicht mehr massebehaftet ist, sondern in die Verfügungsbefugnis der Vertragsparteien zurückfällt. Da ein Zahlungsrückstand von mehr als 14.000,00 EUR aufgelaufen war, kündigte der Vermieter im Oktober 2012 das Mietverhältnis fristlos und begründete die Kündigung u.a. mit dem vor Verfahrenseröffnung aufgelaufenen Zahlungsrückstand. Dies ist rechtens. Der BGH führte in seinem Urteil aus, dass die Kündigungssperre des § 112 Nr. 1 InsO mit Wirksamwerden der Freigabeerklärung...
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Sanierung im Mehrfamilienhaus notwendig – müssen alle Wohnungseigentümer zahlen?
19.10.14 - Dipl. Wirtschaftsjuristin (FH) Katja GieseDer BGH hat am 17.10.2014 entschieden, dass auch ein einzelner Wohnungseigentümer von den übrigen Eigentümern die Sanierung des Gemeinschaftseigentums verlangen kann, selbst wenn diese finanzielle Schwierigkeiten haben oder aufgrund ihres Alters eine Sanierung nicht wünschen. Voraussetzung ist, dass die Sanierung zwingend erforderlich ist. In diesem Fall können sich die übrigen Wohnungseigentümer sogar schadenersatzpflichtig machen, wenn sie eine Beschlussfassung über die Sanierung schuldhaft verzögern. Die Pressemitteilung des BGH können Sie hier nachlesen: Urteil des BGH vom 17.10.2014 zu Az. V ZR 9/14
Wie teuer wird der Schlüsselverlust für einen Mieter?
30.03.14 - Dipl. Wirtschaftsjuristin (FH) Katja GieseDer Bundesgerichtshof (BGH) hatte aktuell zu entscheiden, ob ein Mieter Schadensersatz für die Erneuerung einer Schließanlage leisten muss, wenn er seinen Wohnungsschlüssel beim Auszug nicht zurückgibt. Der Beklagte hatte vom Kläger bei seinem Einzug laut Übergabeprotokoll zwei Wohnungsschlüssel erhalten. Nach Beendigung des Mietverhältnisses gab er nur einen davon zurück. Als der Beklagte auf Nachfrage des Klägers nichts zum Verbleib des zweiten Schlüssels sagen konnte, verlangte die Wohnungseigentümergemeinschaft vom Kläger, dass dieser einen Kostenvorschuss von rund 1.500,00 EUR für den Austausch der Schließanlage des gesamten Hauses zahlen solle. Der Austausch wurde jedoch noch nicht vorgenommen. Der Kläger verlangte nun seinerseits vom Beklagten, dassdieserdie Kosten für den beabsichtigten Austausch der Schließanlage zahlen solle, da er den Schlüssel nicht zurückgegeben hat. Der BGH entschied am 05.03.2014, dass zwar die Schadensersatzpflicht des Mieters, der einen zu einer Schließanlage gehörenden Schlüssel verloren hat, auch die Kosten des Austausches der Schließanlage umfassen kann, wenn dies aus Sicherheitsgründen notwendig ist. Aber ein Schaden liegt erst dann vor, wenn die Schließanlage tatsächlich ausgetauscht worden ist. Gerade dies war hier noch nicht erfolgt, so dass der Beklagte (noch) nicht...
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